Krachende Niederlage für «BDS Schweiz»
Die Ombudsstelle der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft hat eine Beschwerde von «BDS Schweiz» gegen ein Interview in der Radiosendung «Kultur Kompakt» zurückgewiesen. In diesem Gespräch hatte eine Redaktorin deutliche Worte zu den Motiven und Aktivitäten der antiisraelischen Boykottbewegung gefunden. Die Ablehnung der Eingabe ist richtig, denn die Redaktorin hatte mit ihrer Einschätzung vollkommen Recht.
Von Alex Feuerherdt
Ende November des vergangenen Jahres strahlte der Schweizer Radiosender SRF 2 Kultur ein bemerkenswertes Interview aus (zu hören hier, ab Minute 13:15). Die Moderatorin Iren Grüter sprach darin mit der Religionsredaktorin des Senders, Judith Wipfler, über die BDS-Bewegung, die einen Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel befürwortet. Unmittelbarer Anlass dafür war der Entschluss des Westdeutschen Rundfunks (WDR) und anderer öffentlich-rechtlicher deutscher Fernseh- und Radioanstalten, ein Konzert des früheren «Pink Floyd»-Sängers Roger Waters in Köln nicht wie ursprünglich geplant zu übertragen. Waters unterstützt seit langem die BDS-Bewegung und macht auch sonst häufig mit antiisraelischen Kommentaren von sich reden, nicht zuletzt bei seinen Auftritten. Eine Kölner Bürgerin hatte deshalb eine von 1.500 Menschen unterzeichnete Petition initiiert, in der sie unter anderem fragte: «Will der WDR tatsächlich das neue ‹Kauft nicht bei Juden› unterstützen? Und dann auch noch mit öffentlich-rechtlichen Mitteln?» Diese Petition schickte sie an den WDR-Intendanten Tom Buhrow, der ihr daraufhin antwortete: «Die Zusammenarbeit für das Konzert ist beendet.»
In der SRF-Sendung «Kultur Kompakt» wurde Judith Wipfler daraufhin um eine Einschätzung von BDS gebeten, und sie sparte nicht mit deutlichen Worten. «Geht‘s dem BDS wirklich um eine Verbesserung für die Palästinenser, für deren Leben, oder doch vor allem darum, Israel zu schaden?», fragte sie beispielsweise, um fortzufahren: «Die Idee von so einem Komplett-Boykott ist klar antisemitisch, das sagt nichts anderes als ‹Kauft nicht bei Juden›, also, das hatten wir schon mal in der Geschichte. Auch wenn so das Existenzrecht Israels im Grunde angezweifelt, infrage gestellt wird, sogar zur Vernichtung des Staates aufgerufen wird, kann ich das nicht anders als antisemitisch nennen.» Zwar halte sie nicht alle BDS-Aktivisten für Antisemiten, so Wipfler, aber die Äusserungen und Aktivitäten der Bewegung an sich hätten mit Kritik an einer konkreten israelischen Regierungspolitik nichts zu tun, sondern folgten einer anderen Logik: «Israel ist dann an allem schuld, die Juden sind wieder an allem schuld, und wenn man quasi Israel zum Juden unter den Völkern macht, ist die Lösung nahe, wenn der weg ist, ist alles gut. Und das ist eben Antisemitismus.» Hinzu komme die Unterstützung von BDS durch Staaten wie den Iran und durch Terrororganisationen wie die Hisbollah.
Nicht transparent und nicht sachgerecht?
Von diesem Interview wähnte sich der Schweizer BDS-Ableger derart angegriffen, dass er im Dezember 2017 eine Beschwerde an die Ombudsstelle der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG) Deutschschweiz richtete. Für die Eingabe machte «BDS Schweiz» zunächst formale Gründe geltend: Im Interview habe Judith Wipfler ihre Autorität als Teamleiterin für die Fachredaktion Religion beim SRF-Radio missbraucht, um «völlig subjektive persönliche Meinungen» als Tatsachen zu präsentieren, obwohl sie «nicht belegt und mehrfach falsch» seien. Das sei ein Verstoss gegen das Transparenzgebot, wie es das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen vorsehe. Ausserdem seien Wipflers Äusserungen nicht sachgerecht gewesen, weil die Redaktorin «die relevanten, öffentlich zugänglichen Informationen der BDS-Bewegung» ausgeklammert und dieser «Absichten, Ziele und Aussagen» unterstellt habe, die nicht den Fakten entsprächen.
So sei BDS «eine von der palästinensischen Zivilgesellschaft selbst begründete» Bewegung, die «auf gewaltfreiem Weg die völkerrechtlich verankerten Grundrechte der PalästinenserInnen durchsetzen» wolle. Dazu zählt die BDS-Bewegung: die «Beendigung der Diskriminierung der palästinensischen BürgerInnen in Israel», die «Beendigung der Besatzung» und das «Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge». Boykottaufrufe seien «ein akzeptiertes Mittel des politischen Drucks und eine Form des in internationalen Menschenrechtskonventionen verankerten Rechts auf freie Meinungsäusserung». Boykottiert würden, so schrieb «BDS Schweiz» weiter, «staatliche und staatlich finanzierte Institutionen, Veranstaltungen etc. sowie israelische und internationale Firmen, die sich an Menschen- und Völkerrechtsverletzungen beteiligen». Der Boykott richte sich «explizit nicht gegen Einzelpersonen wie KünstlerInnen oder AkademikerInnen, sofern sie nicht den Staat Israel oder eine mitverantwortliche israelische Institution vertreten oder an den Bemühungen Israels zur Aufwertung seines Images (Rebranding) beteiligt sind».
Der BDS-Mythos von der palästinensischen Zivilgesellschaft
Auf die «palästinensische Zivilgesellschaft» und ihren Aufruf aus dem Juli 2005 berufen sich BDS-Aktivisten stets, wenn es um die Entstehung dieser Bewegung geht. Doch das ist vornehmlich aus zwei Gründen nicht richtig. Zum einen reichen die Ursprünge weiter zurück, und sie sind nicht in Ramallah zu finden, sondern in Teheran. Dort nämlich fand eines der entscheidenden Vorbereitungstreffen für die Weltkonferenz der Vereinten Nationen gegen Rassismus statt, die schliesslich im Spätsommer des Jahres 2001 in der südafrikanischen Stadt Durban über die Bühne ging und zu einem regelrechten Festival des Hasses gegen Israel wurde. Noch heftiger ging es auf der parallel dazu ausgerichteten und ebenfalls in Durban abgehaltenen Versammlung von Nichtregierungsorganisationen zu, wo ein offener Antisemitismus zur Schau gestellt wurde, der bis zur Verteilung der «Protokolle der Weisen von Zion» durch Palästina-Solidaritätsgruppen reichte. In der Abschlusserklärung der NGO-Konferenz wurde Israel als «rassistischer Apartheidstaat» an den Pranger gestellt, der «rassistische Verbrechen», «ethnische Säuberungen» und «Völkermord» begehe. Ausserdem fand sich darin der Aufruf zur Gründung einer «internationalen Anti-Israel-Apartheidbewegung».
Vorbereitet worden waren die israelfeindlichen Beschlüsse und Aktionspläne auf dem Vortreffen in der Hauptstadt des Iran, also eines Landes, das die Vernichtung Israels als eines seiner wichtigsten Ziele erachtet. Die NGO-Konferenz nahm sie schliesslich in ihre Abschlussdeklaration auf, einschliesslich der Boykottaufrufe. Somit führte der Weg von Teheran nach Durban – und von dort schliesslich zum Gründungsmanifest der BDS-Bewegung, über das Jed Babbin und Herbert London in ihrem Buch «The BDS War Against Israel» schreiben: «Alles, was die Autoren der BDS-Bewegung tun mussten, war es, ein paar Wörter dieser ‹Deklaration› zu verändern – um sich nicht den Vorwurf einzuheimsen, das Produkt des Durban-NGO-Forums plagiiert zu haben – und das als Aufruf der ‹palästinensischen Zivilgesellschaft› zu verschicken.»
Zum anderen stellt sich die Frage, ob von einer Zivilgesellschaft überhaupt die Rede sein kann, wenn sich unter den palästinensischen Vereinigungen, die vor 13 Jahren den BDS-Gründungsaufruf unterzeichneten, gleich an erster Stelle das Council of National and Islamic Forces in Palestine findet, das Koordinationsorgan der wichtigsten politischen Parteien in den palästinensischen Gebieten. Zu diesen gehören auch Terrororganisationen wie die Hamas, der Islamische Dschihad und die PFLP, die eines ganz sicher nicht im Sinn haben, nämlich «auf gewaltfreiem Weg die völkerrechtlich verankerten Grundrechte der PalästinenserInnen durchzusetzen». Auch die anderen unter dem Aufruf genannten Verbände und Organisationen stehen den in den palästinensischen Gebieten herrschenden Kräften gewiss nicht distanziert gegenüber und haben auch sonst nicht die Eigenschaften, die man mit dem Begriff «Zivilgesellschaft» verbindet, wie etwa Toleranz, Kompromissbereitschaft und eine Distanz zu autoritärem Denken und Handeln. Insofern hat der betreffende Hinweis von «BDS Schweiz» vor allem eine propagandistische Funktion.
Es gibt kein palästinensisches Rückkehrrecht
Was nun das angebliche «Rückkehrrecht» der palästinensischen «Flüchtlinge» betrifft, handelt es sich keineswegs um ein völkerrechtlich verankertes Grundrecht, wie «BDS Schweiz» glaubt. Denn in der Resolution 194 (III) der UN-Generalversammlung vom Dezember 1948, auf die sich die Organisation beruft, heisst es lediglich, «dass denjenigen Flüchtlingen, die zu ihren Wohnstätten zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestattet werden soll und dass für das Eigentum derjenigen, die sich entscheiden, nicht zurückzukehren, sowie für den Verlust oder die Beschädigung von Eigentum auf der Grundlage internationalen Rechts oder nach Billigkeit von den verantwortlichen Regierungen und Behörden Entschädigung gezahlt werden soll». Wohlgemerkt: soll – von einem Recht ist dort nicht die Rede, und die Generalversammlung kann auch gar keine rechtsverbindlichen Beschlüsse fassen. Abgesehen davon knüpft der Appell die Möglichkeit der Rückkehr eben auch daran, dass die Rückkehrwilligen «in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen», was ganz gewiss nicht bei allen der Fall war und ist.
Hinzu kommt, dass es in der Resolution weiter heisst: Die Generalversammlung «beauftragt die Schlichtungskommission, die Rückführung, Umsiedlung und ökonomische sowie soziale Eingliederung der Flüchtlinge und die Zahlung von Entschädigung […] zu fördern». Der Wiener Politikwissenschaftler Florian Markl schrieb dazu unlängst: «Die Generalversammlung forderte demnach also zwar, die Rückkehr eines Teils der Flüchtlinge zu ermöglichen, erachtete für den anderen Teil aber dessen Umsiedlung als die geeignete Massnahme, um so das Flüchtlingsproblem zu lösen. Da dies der Weg war, mit dem andere und zahlenmässig weit grössere Flüchtlingskrisen auf der Welt bewältigt werden konnten, war nur allzu verständlich, dass er auch für die Flüchtlinge in Palästina vorgeschlagen wurde.» Es gibt also kein Recht auf «Rückkehr» von über fünf Millionen Palästinensern – von denen die weitaus meisten ja nie geflohen sind, sondern den Flüchtlingsstatus von ihren Vorfahren vererbt bekommen haben – auf israelisches Territorium. Dass die BDS-Bewegung dennoch darauf beharrt, hat den Grund, dass über diese Einwanderung die Demografie in Israel so verändert werden würde, dass die Juden dort nicht mehr in der Mehrheit wären. Israel wäre also nicht länger ein jüdischer Staat.
Der Taschenspielertrick der BDS-Aktivisten
Mit der Wahrheit nicht so genau nimmt es die BDS-Bewegung auch, wenn es um das Thema Boykott geht. Dieser richte sich, behauptet ihr Schweizer Ableger, «explizit nicht gegen Einzelpersonen wie KünstlerInnen oder AkademikerInnen» – es sei denn, sie vertreten «den Staat Israel oder eine mitverantwortliche israelische Institution» oder sind «an den Bemühungen Israels zur Aufwertung seines Images (Rebranding) beteiligt». Vor allem das letztgenannte Kriterium ist äusserst dehnbar, und man tritt den BDS-Aktivisten sicherlich nicht zu nahe, wenn man schlussfolgert, dass das auch so gewollt ist. Denn mit dem Vorwurf, zu einem positiven Bild von Israel beizutragen, begründet die BDS-Bewegung regelmässig beispielsweise ihre aggressiven Aktivitäten gegen die Auftritte von Bands und Sängern im jüdischen Staat. Das ständige Stören von Vorträgen israelischer Wissenschaftler und Hochschullehrer an europäischen und amerikanischen Universitäten wiederum legitimieren BDS-Vertreter mit der Behauptung, die Betreffenden gehörten einer «mitverantwortlichen» israelischen Einrichtung an. Mit diesen Argumenten glaubt man also, Boykottaktionen auch gegen Einzelpersonen rechtfertigen zu können – ein Taschenspielertrick, der leicht als solcher zu durchschauen ist. Die BDS-Bewegung verfährt seit jeher nach dem Grundsatz: Wer nicht explizit unsere Kritik und unsere Ziele teilt, ist als politischer Gegner zu betrachten und zu behandeln.
Vor wenigen Tagen hat die Ombudsstelle der SRG die Beschwerde von «BDS Schweiz» in fünf von sechs Punkten richtigerweise mit Nachdruck verworfen. Lediglich die Kritik, dass sich die Redaktorin Judith Wipfler im Zuge ihrer Recherchen nicht auch mit BDS-Aktivisten gesprochen hat, wird akzeptiert. Inhaltlich aber stellt sich die Ombudsstelle hinter das Interview und teilt die Kritik an BDS, ausserdem sieht sie keinen Verstoss gegen das Transparenzgebot. Erwartungsgemäss wollte «BDS Schweiz» die Begründung nicht so stehen lassen, auf ihrer Website hat die Vereinigung sie in länglichen Ausführungen kommentiert. Viele Einwände fanden sich bereits in der ursprünglichen Eingabe, ansonsten bemüht sich die Gruppe beispielsweise, einen renommierten Antisemitismusforscher wie Samuel Salzborn zu diskreditieren und einen Verschwörungstheoretiker und Antisemiten wie Richard Falk als ernst zu nehmenden Gewährsmann dafür zu präsentieren, dass Israel ein Apartheidstaat ist. Was als Widerspruch gegen die Begründung der Ombudsstelle für die Ablehnung der Beschwerde daherkommt, erweist sich einmal mehr als ideologisches Traktat, das zeigt, wie richtig Judith Wipfler damit lag, die – rhetorische – Frage zu stellen: «Geht‘s dem BDS wirklich um eine Verbesserung für die Palästinenser, für deren Leben, oder doch vor allem darum, Israel zu schaden?» Die Antwort hat die BDS-Bewegung zum wiederholten Male selbst gegeben. Aus guten Gründen haben deshalb die deutschen Städte Frankfurt, München und Berlin diese Bewegung schon vor einiger Zeit als antisemitisch qualifiziert und beschlossen, sie weder finanziell in irgendeiner Weise zu unterstützen noch ihnen städtische Plätze und Räumlichkeiten zu überlassen.